Von Christine Possler am 17. Dezember 2017 in Handlung , Handwerk

Ganzheitlich agil verändern!

Um das eigene Unternehmen "agil" zu machen, greifen Praktiker manchmal gerne handfest und direkt Veränderungen, ohne sich mit theoretischen Überlegungen aufzuhalten. Vielleicht, weil sie es so bei Kollegen aktuell gehört haben und als erfolgversprechend nachahmen wollen.

Doch die spontane Maßnahme, z.B. die flexible Arbeitszeit oder der bereitgestellte Kreativ-Raum, sprechen nur eine Facette an. Was, wenn massive Leistungsreserven in ganz anderen Aktionen liegen?

Deshalb gilt die Grundregel:

Gehe Neues Arbeiten sorgfältig an
mit dem Blick auf das Ganze und doch Schritt für Schritt!

Zunächst mit dem Fokus auf das Materielle: Eine Checkliste aus den beiden Facetten *Rahmen und **Prozesse konzentriert den  Blick auf alles Methodische und Anfassbare (wozu wir hier auch die Servicegestaltung zählen).

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* Rahmen

Wir fangen mit dem Drumherum bzw. der Bühne an. Die Kernfragen lauten hier:

  • Wie können wir agil SEIN statt aufgesetzt mal ein bisschen agil herum zu probieren?
  • Wie vereinfachen wir dafür unsere Organisation und streichen alles Unnötige heraus, was die Arbeit ohne Wert komplex macht. (Ja: "Lean" ist gemeint!)

Veabschieden wir uns zunächst einmal von dem Glauben, dass ein Organigramm die Organisation, die Informationsflüsse und die Willensbildung im Unternehmen realitätstreu abbildet. Führungskräfte und Teams wissen seit Langem, dass es die informellen Prozesse sind, die Wirklichkeit prägen. Da gibt es - quer durch alle Abteilungen und Ebenen...

  • Sympathien - mit diesen Kollegen arbeitet man lieber zusammen und informiert sich besser,
  • Verwandtschaften - in denen Blut dicker ist als Wasser,
  • Bewunderung und dicke Freunde,
  • gesellschaftliche Gemeinsamkeiten (Clubs, Kinder in der selben Schule, Nachbarschaft)...,
  • Affären – aktuell und ehemalig,
  • Stille Abneigungen oder Eifersucht, Neid oder gar Hass,
  • geheime Absprachen oder offene Rechnungen bzw. das Wissen über „Leichen im Keller“,

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Überall menschelt es. Beziehungen laufen hürdenfrei im Guten oder ganz und gar nicht im Schlechten, auch wenn das Reibungslose rein sachlich sinnvoll wäre und eigentlich auch so geplant war. Doch es blitzt und kracht an allen Ecken.

Wer mit diesem Wissen im Kopf an Führungs-Pyramiden als Norm festhält, zementiert Kompliziertheit unnötig, denn die Kommunikationswege sind intransparent und machen eine erfolgreiche Willensbildung schwerfällig. Dennoch brauchen Mitarbeiter nach unserer Erfahrung ein orientierendes Bild ihrer Organisation, in dem sie sehen, wer wo im Unternehmen steht.

Brauchbar erscheint uns die Kombination aus flacher, flexibler Hierarchie mit flachen Teams, die Jacob Morgan Flatarchies nennt (-> http://www.madalinadobraca.com/dictionary-flatarchies-holacracies/).

Sie genügt einerseits dem Unternehmensrecht, das die Zuordnung von Verantwortungen einfordert, und bildet andererseits agile Arbeitsfelder und Teams ab – immer wieder aktualisiert. Mitarbeiter finden sich auch optisch wieder, können sich gleichzeitig lebendig bewegen und so ihre Leistungslust, also ihren Flow, entwickeln.

Denn zum Einen wissen sie, wo sie in der – sehr flachen – Führungsstruktur stehen und mit wem sie hier auch quer übergreifend zusammenarbeiten. Zum Anderen finden sie sich je nach Aufgabe und Projekt in „flachen Teams“ wieder, aus denen sie nach getaner Arbeit wieder an den alten Platz zurückkehren.

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Eine solche Flatarchie verbindet einen Stammaufbau mit losen Verknüpfungen: die flache Hierarchie mit hier noch drei Ebenen (im Sinne vom Kreiselmanagement auch umzudrehen) und die zeitweise und flexibel gebildeten „flachen Teams“. Das macht sie sehr anpassungsfähig, sofern die Organisation eine solche Beweglichkeit aushält. Hier gilt besonders: schrittweise vorgehen, sonst wird aus „agil“ schnell „fr-agil“.

Zwei Beispiele, sehr vereinfacht:

  • Das Teambeispiel oben links könnte für den Projektauftrag stehen: Neues Abrechnungssystem entwickeln – mit der Bereichsleitung Finanzen, der Buchhaltung und der IT samt Programmierer.
  • Das Projektteam oben rechts könnte die Produktentwicklung bei einem großen Systemgastronomen abbilden, in dem Einkauf und Produktion mit ihren handwerklich kompetenten Mitarbeitern angesprochen sind.

Dass es sich beide Male um Entwicklungsprojekte dreht, ist im agilen Umfeld typisch.

** Prozesse 

Jetzt wird es dynamisch: Prozesse bewegen gezielt und problemlösend hin zu Ergebnissen, sprich: hin zu Produkten und Service für die Kunden. Sie schöpfen Werte, und zwar zunehmend auf der Service-Seite!

Das braucht Leistungsstandards (jeweils mit einer gehörigen Portion Flexibilität, um gescheiterte Schritte zu korrigieren). Die Checkfragen dazu:

  • WIE soll etwas am Ende sein?
  • WIE kommen die Beteiligten dahin?

Hierhin gehören Entscheidungen rund um die Arbeitsgestaltung samt Ort und Zeit, die das letzte Blog schon aufgezeigt hat. So professionalisieren sowohl erprobte wie auch agile und digitale Methoden und Werkzeuge die heutigen Verfahren, und zwar so, dass Produkte und Services top werden – im Sinne der aktuellen Kunden- wie auch Mitarbeiterbedarfe. Aber Achtung: So viele Standards wie unbedingt nötig einrichten und so wenige wie irgend möglich.

Veränderungen in Prozessen zeigen sich auf unterschiedliche Weise:

=> Automatisierung

In der gesamten Wertschöpfungskette bieten sich weiterzuführende Automatisierungstechniken an, die Teilprozesse entzerren sowie Arbeitsroutinen menschenunabhängiger machen und der weitverbreiteten Personalknappheit begegnen.Einige Beispiele:

  • Von Servicezeiten entzerrte Zubereitung, z.B. über Nachtanlieferungen in Kühlschleusen, über Verfahren wie Cook & Chill, Sous Vide oder Nachtgaren mit Multifunktionsgeräten, die schnellkühlen und garen und vieles mehr können (tw. schon heute genutzt). Sie kann Prozesse produktiver machen, nächtliche Entgelt-Zuschläge einsparen und  Spitzen im teuren Energieverbrauch kappen.
  • Stärker Cloud-basierte IT-Systeme statt staionäre Insellösungen, die Schnittstellen-Kommunikation vereinfachen.
  • Weiter vernetzte Warenwirtschaftssysteme, die Produktentwicklung, Einkauf, Warenfluss und -auszeichnung immer effizienter machen – und das Filial- und Kostenstellen-übergreifend.
  • Elektronische Kassen- und Abrechnungssysteme, die händische Tages-, Monats- und Jahresabrechnungen bzw. Rechnungsstellungen an Kostenstellen/ Kunden vereinfachen - mit komfortablen Schnittstellen in die Finanzbuchhaltung - inkl. Monitoring-Software, mit der zentrales Controlling permanent dezentrale Vor-Ort-Ergebnisse verfolgen kann, oder Dokumenten-Management und -Lenkung.
  • Digitalisierung rund um die Mitarbeiter-Ressource samt Recruiting, Personalentwicklung inkl. Blended Learning, Arbeitszeiterfassung/ Personalwesen – mit Schnittstelle in die Lohnbuchhaltung..., und auch hier Effizienz steigernd.

=> Agile Arbeitsweise

Hier geht es darum, Zusammenarbeit beweglicher, schneller und selbstbestimmter zu gestalten. Einige Methoden sind schon im Blog Agile MUTation genannt, eine Übersicht bringen wir zunächst verdichtet. Den Schlüssel bergen eher "Prinzipien" als Handwerk, da geht es wieder um Haltung: unter der Überschrift „Kultur“ im nächsten Blog.

Arbeitszeitenund -orte lassen sich dabei nur bedingt von der Nachfrage entkoppeln – Servicemitarbeiter sind dann gefragt, wenn Kunden einkaufen und Gäste genießen wollen, und zwar pünktlich und vor Ort in der gewünschten Location. Dann sind persönliche Kundenpräsenz und Verkaufsbereitschaft Pflicht. Davon lösen können sich nur das regionale Management, das schon heute virtuell per Handy und Tablet von unterwegs steuert, oder Fachfunktionen wie Marketing, IT oder Buchhaltung in Regional- bzw. Zentralbüros, für die keine Kunden-Präsenz gilt.

=> Digitale Kunden-/ Gästeservices

Wirkliche Neuerungen gibt es in der Schnittstelle zu Kunden/ Gästen. Hier können Anbieter die Auswahl- und Bestellvorgänge über Apps, Internet/ Homepage, Tablet oder Automaten automatisieren, und Gäste können das Bestellte dann am vorgesehenen Point of Services abholen. Auch er kann automatisiert sein, z.B. in Abholstationen beim Bauern, im Einzelhandel oder im Foodservice. Siehe hierzu:

  • Automatisierte oder mobile Bestellsysteme, in denen Bilder und tagesaktuelle Aktionen genauso sprechen wie Wunschzusammenstellungen der Gäste/ Kunden (z.B. bei McDordering.com https://www.youtube.com/watch?v=d9LfWJQN0Iw/ Mach Deinen Mac https://www.youtube.com/watch?v=XueCJmg5RVs).

Innovationssprünge bringen die Portale im Service:

  • Bei Lieferdiensten wird der Gastronom zum Lebensmittel-Lieferanten, sein Angebot wird zur Handelsware, ohne persönlichen Point of Services zum Gast. Mitgestalten kann er lediglich den Point of Sales zu seinem Lieferandoo, xxx etc., auch Feedback erhält über diesen und selten direkt. Hier stellt sich die Frage, ob realisierte Kosteneinsparungen die erheblichen Erlösminderungen auffangen können und ob überzeugender Geschmack als Marketingargument für zusätzliche Gästegewinnung funktioniert:
Kommen Menschen, 
denen es zu Hause geschmeckt hat, 
dann wirklich auch in mein Restaurant?
  • Digitalisierte Teilbereiche der Restaurant-/ Hotel-Operations, z.B. Parkplatz-Vermittlung wie Parclick (https://parclick.de/) oder an den Flughäfen, die allerdings die Margen im Gesamtgeschäft schmälern, denn auch sie fordern Kommissionen von 20 bis 30 Prozent.
  • Unnötige Lebensmittelvernichtung und Wareneinsatzkosten sparen wollen auch Portale wie Meal-Saver, die zum Ende der Verkaufsbereitschaft Food-Restbestände zu verringerten Preisen anbieten und vermarkten.
  • Nachhaltig wirken bereits Bewertungsportale wie Tripadvisor, Yelp, u.v.m. Anbieter, die mit schlechterer Note als „Sehr gut“ punkten wollen, verlieren kontinuierlich an Nachfrage. Umgehende Antworten auf kritische Bewertungen gehören zum professionellen Customer Relations Management, das über eine angemessene und gut gepflegte Software viel Verbesserungsreserven aufweist.
  • Diverse Buchungs- und Reservierungsysteme - seien es eigene im Internet und über Apps oder über die bekannten Pokale. Sie sind unterschiedlich erfolgreich: Buchungen, Ticketkauf, Wunsch-Tischreservierung im Restaurant oder ebensolche Platzreservierungen im Kino müssen schnell und einfach klappen, sonst wird das Angebot uninteressant.

=> Social Media, Twitter, Instagram & Co.

Vernetzte Kunden und Gäste wollen teilhaben an all dem, was ihre Händler oder Gastronomen umtreibt. Auch hier gehört Beteiligung von „Freunden“ fest zum Kundenbeziehungsmanagement!

Fazit

Die Agilität hat bereits Einzug gehalten und es sind die Kunden, die Veränderungen anstoßen. Sie laufen von dort über die Teams der ersten kundennahen Reihe immer weiter bis zur Führung. Dieses „Von-außen-nach-innen-Denken“ ist zwar eine mindestens 20 Jahre alte Forderung, und doch ist sie nicht durchgängig überzeugend umgesetzt. Gerade erst wieder erlebt:

  • Unsere Küche schließt um 21:00 Uhr, länger können wir keine Mitarbeiter halten (ein Restaurant in der City, der Wettbewerber nebenan läuft jetzt erst zu voller Form auf).
  • Wurst- und Schinkenschnitten bieten wir nachmittags nicht an. Dann sollen die Gäste Kuchen essen. (Die sollen? – Wir gehen jetzt in einen anderen Landgasthof)...

Das bedeutet auch One Face to the Customer. Der Kunde hat also grundsätzlich mit EINEM Ansprechpartner zu tun, egal wie viele interne Teams mit seinem Anliegen beschäftigt sind: Auch wenn z.B. das Marketing für eine Anzeige einzubinden ist, übersetzt der Vertrieb zwischen ihm und den Marketing-Kollegen bzw. alle drei sitzen gemeinsam am Tisch.

Darin steckt viel Lernstoff für die Akteure, was logisch zum nächsten Schritt führt:

Wofür machen wir das?
Wo klappt es schon?
Was geht noch besser/ anders?

Jetzt wünschen wir erst einmal schöne Feiertage und ein gutes Neues Jahr! 
Dann melden wir uns wieder.

Über die Autorin

Christine Possler
Geschäftsführende Gesellschafterin

Christine Possler ist Diplom-Oecotrophologin, Solution Focused Coach, zertifizierter reteaming®-Coach und als
Beraterin, Trainerin & Coach mit diesen Schwerpunkten aktiv:
* Führungskräfteentwicklung
* Teamwirksamkeit
* Kundenorientierung und Kundenkommunikation…
und damit Kulturentwicklung im Unternehmen

Sie sagt über sich selbst:

Motiviert bin ich, wenn...
ich entdecke, wie Menschen zunehmend an sich glauben und mit Freude zu ihrer persönlichen Bestform gelangen!

cp@MUTmanagement.de