Von Ulla Thombansen am 16. November 2021 in Handlung , Haltung

Markt + Motive

Wo liegen die Ursachen, wenn Eure Mitarbeitergewinnung keine Ernte einfährt?

  • Zum einen sind einfach zu wenig Arbeitsuchende auf dem Markt. 
    Das braucht neue Kanäle für erfolgreiches Aufspüren von Kandidat*innen.
  • Zum anderen passt ihre Motivation nur bedingt zu denen der Stellenanbieter. 
    Das braucht eine veränderte Haltung mit neuen Argumenten in konsequenter Kandidaten-Orientierung.


    Den Begriff „Recruiting“ nutzen wir nicht,
    denn wir wollen keine Rekruten verpflichten! 
    (Sprache macht Wirklichkeit!)
     Wir wollen Mit-Arbeiter*innen finden, gewinnen, orientieren, binden und entwickeln!

Gehen wir zunächst davon aus, dass Re-Organisation und Automatisierung/ Digitalisierung erfolgreich bei Euch vorangehen und manche Stelle gar nicht mehr anfällt, der Bedarf also tendenziell sinkt.

Wie besetzt Ihr nun die verbleibenden offenen,
die Euch für Eure Kundenbegeisterung am Herzen liegen?

Candidate Journey

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# 1 Aufmerksamkeit

Touchpoint #1 ist die Aufmerksamkeit, hier nehmen Menschen das Stellenangebot per Wimpernschlag wahr. Hierbei stellen sich zwei Fragen, die erste:

1. Frage: Wo befinden sich überhaupt noch Kandidat*innen?

Zuerst einmal zuhause:

  • In anderen Dienstleistungsberufen, von wo der eine oder die andere vielleicht zu Euch abwandern will.
  • Bei Gering-Qualifizierten, die sich mit viel Geduld und oft auch mit staatlicher Finanzhilfe anlernen und integrieren lassen.
  • Bei Älteren, die gern in einem Teilzeit-Job an der Kasse, in Lager/ automatisierter Logistik/ Arbeitsvorbereitung am Bildschirm etc. unter Leute kommen und etwas dazuverdienen wollen.
  • Bei Männern oder Frauen, die bei Euch unterrepräsentiert sind.
  • Bei Schüler- und Studi-Jobbern, die so Euer Unternehmen kennenlernen und dann bleiben.
  • Bei Migranten, die sich bereits in viele Teams als echte Leistungsträger integriert haben.
  • An Lernorten: Berufsfachschulen, Fachhochschulen, Universitäten mit ihrem Gründungsumfeld, den Gründungswerkstätten der Industrie- und Handelskammern (IHK), auch bei ausländischen Auszubildenden und Studenten… Beispielhaft ist hier der Austausch zwischen der Technischen Universität Dresden mit dem Netzwerk Talenttransfer und Unternehmen in der strukturschwachen Lausitz, mit dem sie Interessent*innen und Bewerber*innen gewinnen! 
  • Beim Surfen in der digitalen Welt.
  • Auf Job-Messen und pfiffigen Bonding-Events, bei denen Firmen hin zu Neueinsteigern und/ oder Wechselwilligen gehen und sie neugierig machen, bevor andere sie wegschnappen…

Das alles hat nicht geholfen? Ja, die demografische Entwicklung deckt in Deutschland die Nachfrage auch dann nicht ab, wenn Männer und Frauen gleich viel arbeiten und das bis ins Alter von 70 Jahren. Bis 2060 wird der Zuwanderungsbedarf laut Bertelsmannstiftung auf 260.000 jährlich steigen.3)

Dann muss der Einzugsradius größer werden:

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Europäischer Wirtschaftsraum (EWR): Europäische Union (EU) und Gleichgestellte wie Norwegen, Island, Liechtenstein und Schweiz:

  • Hier am ehesten im Süden und im Osten, wo Arbeitslosenzahlen höher sind, insbesondere bei jungen Menschen. 
  • Vorteile: Im Rahmen der Freizügigkeit bekommen Unionsbürger langfristig leichter eine Arbeits- und damit verbundene Aufenthaltsgenehmigung. Gleichzeitig ist Deutschland als Zielland begehrt.
  • Doch Achtung: Das muss kulturell passen, auch in der hohen und dichten Arbeitstaktung im industriellen Norden! Manche haben das in ihrer heimischen Sozialisation nicht gelernt, fühlen sich hier überfordert und geben vorzeitig auf.
  • Und: Sprachlevel von mindestens Level B1, besser B2, und branchenspezifische Fach-Vorbereitung sind Voraussetzung, bevor sich Bewerber*innen auf den Weg zu uns machen.
  • Letztlich muss die leidige Wohnungsfrage mit Unterstützung vom künftigen Arbeitgeber geklärt sein!

Und immer stärker – Drittländer:

  • Von dort werden bis 2060 mehr Arbeitskräfte kommen aus dem EWR.3)
  • Serviceunternehmen schauen hier gerne ins ferne Asien, ebenso IT-ler.
  • Voraussetzungen gelten wie in der EU, zusätzlich schränken weitere Größen wie ausreichende Bewerberverfügbarkeit im Inland und wirtschaftliche Abhängigkeit ein, die derzeit mit der neuen Regierung im Umbruch sind.

Zahlreiche Portale, Agenturen und Unternehmen haben sich auf die internationale Vermittlung spezialisiert.

2. Frage: Wie macht Ihr aufmerksam?

Ihr seid Euch Eurer Kultur bewusst? Eurer echten Kultur, die sich in gelebten Werten der Beteiligten spiegelt, nicht die aus der rosaraten Wunschwolke im Marketing? 

  • Wie macht Ihr sieattraktiv sichtbar,
  • mit den gebotenen Sach- und Fachinformationen,
  • möglichst mit aussagekräftigem Bild und 
  • aus Bewerbersicht formuliert?

Hier ein paar Beispiele aus dem Hotelcareer-Portal, die Unterschiede in den Werten zeigen: 

  • „Dein Alltag bei uns…“ oder „Diese spannenden Aufgaben erwarten Dich“ oder ganz sachlich: „Deine Aufgaben“. 
  • „Damit bringst Du uns auf den Geschmack“ oder „Damit begeistern Sie uns“ oder wieder sachlich: "Dein Profil“.

Xenia Meuser nennt in ihrer Key Note auf der Zukunft Personal die Stellenanzeige das Schaufenster, durch das Passanten in der digitalen Welt in unseren Laden hineinschauen. Halten sie inne?5) Erfolgsschlüssel sind dabei klare Gliederungen, die Interessenten gelernt haben - Blättern in den gängigsten Portalen zeigt gute Beispiele!

Dieses Kulturthema werden wir in einem Folge-Blog zeitnah vertiefen! Doch jetzt zum zweiten Touchpoint.

#2 Interesse

Dann ist das Interesse an tieferem Kontakt geweckt: Lesen diese Passanten weiter? Werden sie neugierig? Setzen Sie einen Merker oder altmodisch: Streichen Sie sich die Anzeige an? Jetzt beweist sich:

  • Ist der Jobtitel verständlich für die Zielgruppe?
  • Ist die Stelle klar und ansprechend beschrieben, so dass die Zielgruppe und nicht nur Abteilungsleitung und die Personalerin das verstehen?
  • Erreichen wir die Richtigen? Verstehen sie unser Anliegen?
  • Lassen sich Kultur und Arbeitsalltag aus dem Text herauslesen?
  • Wie viele kommen aufgrund von Empfehlungen?

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  • Ist der Fit zwischen Wunsch und Wirklichkeit aus Kandidat*innen- und Arbeitgeber-Sicht gewährleistet (siehe unten)? Filtert die Anzeige also wirksam Neigung und Eignung?
  • Trägt das glaubwürdig im Abgleich mit echten Mitarbeiteraussagen?
  • Sind beschriebene Anforderungen realistisch?
  • Sind alle Kontaktdaten angegeben – mit Angaben zum weiteren Vorgehen?

#3 Bewerbung, #4 Auswahl, #5 Einstellung

Jetzt kommen die Touchpoints #3 Bewerbung, #4 Auswahl und hoffentlich #5 Einstellung zum Zuge: Ihre Prozesse sollen definiert sein, und zwar so, dass die Kandidaten-Kommunikation zuverlässig, schnell, schlank, individuell formuliert und mit Antworten funktioniert auf offene Fragen (Aufgabe, Unternehmen, Mitarbeiterbewertungen, Gehalt, Entwicklung...). Je nach Unternehmensgröße bieten sich hier Applicant Tracking Systems (ATS) oder WhatsApp-Lösungen an, in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) tut es oft eine ausgetüftelter Workflow mit Checklisten, bis die Digitalisierung greift.

Hilfreich ist es, aus Feedback-Schleifen heraus Erkenntnisse zu ziehen und den Workflow permanent zu optimieren: 

  • Welche Kanäle, welche Medien-Pfade garantieren Reichweite? 
  • Wie gut und pünktlich klappt die Ansprache, auch digital und remote? 
  • Welche Vorstellungen äußern Kandidat*innen, stimmt die Orientierung?
  • An welcher Stelle springen welche ab? 
  • Wie viele Bewerber*innen vereinbaren nach dem Telefon-Interview ein erstes Vorstellungsgespräch?
  • Welche Folgegespräche kommen zustande?
  • Wie effizient werden Ressourcen genutzt? 
  • In welcher Phase bindet Ihr Führungskräfte und künftige Kolleg*innen ein? Passt das?
  • Wie klappt das Reporting hin zu den Operativen und retour?
  • Wie zügig läuft das ganze Verfahren?
  • Wo und wie springen bindende Funken über? 
  • Wie wird der kulturelle Fit wechselseitig erkannt und gepflegt?
  • Wie kommen wir noch näher an Kandidat*innen heran…? 

Was immer sinnvoll zu automatisieren und zu digitalisieren geht, soll diesen Weg gehen. Auch Interviews statt Ersttelefonat und Zweitgespräch funktionieren remote! 

In dieser Reise ist Musik!

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Denn 40 Prozent aller Bewerber*innen springen unterwegs wegen schlechter Kommunikation mit ihnen ab, sei sie zu spät, nicht erwartungskonform, ohne erforderliche Fakten und in unpassendem Ton.5) 

#6 Onboarding

Dann fängt der Bewerber oder die Bewerberin bei Euch an, hoffentlich mit einer tollen Einarbeitung, die orientiert und fachliche Sicherheit, Team-Integration sowie persönliches Wachstum schafft. Dann bleiben die Neuen an Bord, empfehlen Euch als Arbeitgeber weiter und stärken so Eure Marke, damit ihre Journey als Mitarbeiterreise weitergeht.

Puh, das braucht Anstrengung.
Doch die lohnt sich!

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Quellen:
1) https://www.tagesschau.de/inland/zuwanderung136.html
2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/330163/umfrage-der-beschaefigten-im-gastgewerbe-in-deutschland/
3) Level B1: Beherrscht viele gebräuchliche Sprachmuster und Ausdrücke/ Idiome in vorhersehbaren Situationen. Level B2: Beherrscht Grammatik recht gut. Vermeidet Fehler mit missverständlicher Bedeutung, kann viele eigene Fehler selbst korrigieren.
4) Bertelsmannstudie Zuwanderung und Digitalisierung. Wie viel Migration aus Drittstaaten benötigt der deutsche Arbeitsmarkt künftig? (2019)
5) Xenia Meuser: New Normal im Recruiting, Key Note Zukunft Personal 2021

Fotos:
Europakarte: usgs-inNzGtPrkHk-unsplash.jpg 
Büro-Szene: austin-distel-wD1LRb9OeEo-unsplash.jpg
Tablet: oleg-magni-NjS_ym9wXWc-unsplash.jpg
Reise: patrick-tomasso-5hvn-2WW6rY-unsplash.jpg

Grafiken:
MUTmanagement GmbH 2021

Über die Autorin

Ulla Thombansen
Senior Consultant

Ulla Thombansen ist Diplom-Volkswirtin Freiburger Schule und als ursprüngliche Gründerin von MUT spezialisiert auf:
- Organisationsentwicklung in aktuellem Rahmen
- Nachhaltige Festigung von Entwicklungen
- Hintergrund-Rechecherche rund um Servicemanagement und Führung im schnellen Wandel
- Systementwicklung in der Profigastronomie
- Qualitäts- und Hygienemanagement samt Dokumentationen

Im Blog MUTgestalten liefert sie vor allem Beiträge in der Kategorie Haltung.

Über sich selbst sagt sie:

Ich bin motiviert, wenn...
Programme für Kunden und Anwender passen und heterogene Gruppen zu gemeinsamen Zielen kommen. Und wenn ich komplexe Projekte erfolgreich mit den beteiligten Menschen steuern kann.

ut@mutmanagement.de